Taunerhaus mit neuer Nutzung in Niederbottigen. Foto: Theo Iff

Eine Landschaft verändert sich

Das landwirtschaftlich geprägte Gebiet von Ober- und Niederbottigen, Matzenried und Riedbach steht vor einem entscheidenden Wandel. 

Die zunehmende Umnutzung von ehemals bäuerlichen Gebäuden sowie moderne Wohnsiedlungen verändern nicht nur das Siedlungsbild, sondern auch die Bevölkerungsstruktur. Eine langwierige Auseinandersetzung mit den Behörden der Stadt um die Wasserversorgung führte zum heutigen, zwiespältigen Resultat. 

Kontraste: Grossüberbauungen – beschauliche Weiler
In der Mitte des 20. Jahrhunderts geriet der Stadtteil VI in den Sog eines umfassenden, ungestümen Kulturwandels. In weniger als einem halben Jahrhundert entstanden in den Kernzonen Bümpliz/Bethlehem Grossüberbauungen mit dominierenden Hochhäusern und neuen Verkehrsflächen. Die Bevölkerungszahl stieg in diesen Jahren um das Doppelte an. Die demographische Entwicklung wurde beeinflusst durch den Zuzug von Menschen aus anderen Kulturkreisen. Da und dort tauchte der verpönte Begriff einer seelenlosen, unpersönlichen Betonwüste auf. 

Die Idylle präsentierte sich woanders: Westlich der durch die Wäldchen Rehhag und Winterhale verlaufenen Grenzlinie, bot sich dem Betrachter das Bild einer alemannischen Streusiedlung inmitten einer land- und forstwirtschaftlich genutzten Landschaft. Die Weiler Ober- und Niederbottigen, Matzenried und Riedbach standen in ihrem ökonomisch bedingten Zusammenrücken im Einklang mit der Umgebung. Stattliche Bauernhäuser mit Stöckli, Remisen und Spycher wechselten ab mit bescheidenen Taunerhäusern (Kleinstbauernhäuser für Taglöhner). Die Verkehrswege mit der Matzenriedstrasse und der Buechstrasse hatten lokale Bedeutung; die Eisenbahnlinien Bern – Freiburg und Bern – Neuenburg, wie auch die Hauptstrassen und späteren Autobahnen mit dem gleichen Verlauf, verliefen am Rand der Besiedlungsfläche und hatten keine Auswirkungen auf die Erschliessung. Der westliche Abschluss des Gebietes umfasst bis heute das grosse Waldgebiet des Kleinen und Grossen Forsts. 

Das Gebiet, das seit dem frühesten Mittelalter zum burgundischen Königshof und später dem Kirchenspiel Bümpliz gehörte, hatte bis Ende des 19. Jahrhunderts mindestens die gleiche Bedeutung wie das Bauerndorf Bümpliz. Einzig der Standort der Schule war lange Zeit umstritten. 1682 erhielt Bottigen eine eigene Schule und gilt seither als «oberer Schulbezirk». In der sogenannten Gemeindekammer – dem Gemeinderat von Bümpliz – waren bis zum Anschluss an die Stadt Bern immer Vertreter des oberen Bezirks vertreten, darunter beispielsweise Christian Burren-Neukomm als Gemeindepräsident. Allerdings stagnierte die Entwicklung in den Zwischenkriegsjahren. Grund dafür war die ungenügende Wasserversorgung. 

Die lange Geschichte der Wasserversorgung
Bereits im Jahre 1934 gelangte der Leist des Schulbezirks Oberbottigen an die Behörden der Stadt Bern mit der dringenden Bitte, den Bezirk mit einem Hydrantennetz zur Bekämpfung der immer wieder vorkommenden Brandfälle zu versehen. Eine diesbezügliche Antwort ist nicht aktenkundig. Ein geologisches Gutachten im Auftrag der Wasserversorgung der Stadt Bern von 1953 hält fest, dass Matzenried zwar mit Tiefbohrungen eine höhere Wasserzufuhr erreichen könnte, die tiefer gelegenen Weiler indes davon kaum profitieren würden. Zu diesem Zeitpunkt sprach man indes vom Löschwasser – das Trinkwasser stammte zu einem wesentlichen Teil aus Quellen, beziehungsweise aus Rechten an Quellen von Bauernbetrieben. 

Erst zehn Jahre später erhielt der Direktor der Industriellen Betriebe vom Gemeinderat der Stadt Bern den Auftrag zur Abklärung einer provisorischen Wasserversorgung. In einem bemerkenswerten Nebensatz wurde festgehalten, «dass die Versorgungseinrichtungen in ihrer Kapazität auf die bestehende Überbauung zu beschränken wäre und Neuzuzüger nicht Anspruch auf Belieferung hätten». 

Während der Trockenzeit im Herbst 1962 und Winter 1962/63 sank der Grundwasserspiegel im Gebiet von Oberbottigen so stark ab, dass beinahe alle Wasserfassungen versiegten. Eine Notwasserversorgung mit Tankwagen deckte den täglichen Bedarf ab. Diese unhaltbare Situation beschleunigte die Projektplanung und führte zum Vorschlag eines Pumpwerkes im Gebiet Rehag. 

Ursprüngliches Gebäude in Matzenried. Foto: Theo Iff

Von Zuzügern mit empfindlichen Mägen

Wieder vergingen fünf Jahre, ohne dass ein sichtbarer Fortschritt erkennbar war. 1968 erstellte der Gemeinderat zu Gunsten des Stadtrats einen sogenannten Vortrag zur zentralen 
Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung im Schulkreis Oberbottigen. Der ausführliche Bericht enthält Passagen, die aus heutiger Sicht zum Schmunzeln anregen, aber auch von einer gewissen Überheblichkeit im Sinne der obrigkeitlichen Herrschaft über das Landvolk zeugen. 

So heisst es zum Thema Wasserqualität: «Da die Quellen nicht tief gefasst wurden, sind sie der Verschmutzung durch Abwässer stark ausgesetzt. Gemäss Berichten der Gesundheitsdirektion ist die Gefahr von Verseuchungen latent vorhanden. Bei Zuzügern, so selten sie zu registrieren sind, ist die Epidemiegefahr hingegen bedeutend…». Weiter hält der Gemeinderat fest: «Die Gemeinde sei rechtlich nicht verpflichtet, eine Wasserversorgung zu installieren, doch sei der Gemeinderat bereit – nicht aus öffentlich-rechtlicher Pflicht, sondern im Sinne eines Entgegenkommens – etwas für die heutige Bevölkerung von Oberbottigen zu unternehmen.» Diese selbstherrliche Darstellung wurde noch untermauert mit der Feststellung, «dass von einer erheblichen oder gar absichtlichen Verzögerung des Geschäftes gar keine Rede sein könne und dass im Gegenteil intensiv an der Bereitstellung eines finanziell tragbaren Projekts gearbeitet werde.»

Dennoch konnten vereinzelt neue Häuser gebaut werden. Allerdings war die Wasserversorgung abhängig von der Zulieferung durch bäuerliche Quellenbesitzer.

Der Posthalter von Oberbottigen übernimmt den Lead
Galt bis zu Beginn der Sechzigerjahre die einhellige Meinung, dass der Bezirk Oberbottigen mit grösster Dringlichkeit das Problem der Wasserzufuhr und Abwasserentsorgung nur mit Hilfe der Stadt lösen könnte, erwuchs dem Projekt – nicht nur aus Verdrossenheit gegenüber dem mangelnden Interesse der Stadtbehörden – eine ernstzunehmende Opposition. Wie bereits erwähnt, verfügten die meisten Bauernbetriebe über eine eigene Quelle und eine Jauchegrube – sie waren demzufolge nicht direkt von einer zentralen Versorgung abhängig. Zudem fürchteten die Bauern, dass im Falle eines Wasseranschlusses an die Wasserversorgung der Stadt Bern das Land höher eingeschätzt werde. 

In dieser schwierigen Situation übernahm eine allseits geachtete Person die Koordination zwischen der einheimischen Bevölkerung und den städtischen Behörden: Paul Schär, Posthalter und Leistpräsident von Oberbottigen. Der liebenswürdige, in der Sache aber beharrliche Vertreter seiner Mitbürgerinnen und -bürger, leitete in der Folge während mehr als zwanzig Jahren die Gespräche und Verhandlungen. Er blieb auch gelassen, als der Gemeinderat ihm im Herbst 1968 den ultimativen – von Politik und Verwaltung häufig als Akt der Verzweiflung bezeichneten – Lösungsvorschlag unterbreitete: Die Bildung einer Spezialkommission.

1969/70 kam es zum grossen Erstaunen der Einwohnerinnen und Einwohner zu ernsthaften Grabarbeiten. Dies, nachdem sie kurz vorher noch angehalten wurden, die Jauchegruben zu sanieren und die Quellen tiefer zu graben. Es entstand eine Wasserversorgung mit gleichzeitiger Abwasserentsorgung sowie ein funktionstüchtiges Hydrantennetz. Den Bauern empfahl man den Verkauf ihrer obsolet gewordenen Feuerweiher – das Interesse daran hielt sich allerdings in Grenzen…

 

Neubauten in Oberbottigen. Foto: Theo Iff

Die Umnutzung landwirtschaftlicher Gebäude

Ein Blick auf die Daten zur landwirtschaftlichen Strukturerhebung für den Stadtteil VI zeigt ein signifikantes Bild: Wies der Bereich Bümpliz/Oberbottigen 1980 noch 99 landwirtschaftliche Betriebe auf, waren es im Jahr 2020 noch deren 42 – ein Rückgang um mehr als die Hälfte. Der Grund dieser Veränderung offenbart sich mehrheitlich im Strukturwandel der Landwirtschaft: Weniger, dafür grössere Betriebe, verstärkt auch durch den Mangel an interessierten Nachfolgegenerationen. Bei näherer Betrachtung entdeckt man neue Nutzungsformen der einstigen Landwirtschaftsbauten: Unter weit ausladenden Walmdächern und hinter originalen Rieg- und Holzfassaden versteckt sich in zunehmendem Masse ein moderner Wohnungstypus. Bis zu elf Wohneinheiten in Gebäuden mit Tenn und Ställen sowie Umbauten von alten Stöckli und Taunerhäusern für Familien prägen je länger je mehr das Ortsbild der Weiler Niederbottigen, Matzenried und Riedbach. Zum überwiegenden Teil folgen die Umbauten den Empfehlungen der Denkmalpflege und berücksichtigen die authentische Struktur der Gebäude. Gerade bei der Neunutzung von ehemaligen Taunerhäusern – ursprünglich für anspruchslose Bewohnerinnen und Bewohner gebaut – erfordern die zurückhaltend vorgenommenen Änderungen beträchtliche Mittel. 

Eine andere Entwicklung geht in Richtung urbaner Vorstadtarchitektur: In Oberbottigen entstanden in den letzten Jahren moderne Siedlungsstrukturen, die in starkem Kontrast zur bislang empfohlenen Praxis der Kommission zur Pflege des Orts- und Landschaftsbildes (OLK) stehen. Die Erschliessung erfolgt auf Verkehrswegen, die den Ansprüchen des heutigen Verkehrs kaum mehr standhalten. Als Weisheit letzter Schluss wurden teilweise die Ränder der Trottoirs abgesenkt, um das Kreuzen der Autos zu ermöglichen.

Der Traum einer Satellitenstadt 

Die Aussicht auf die Erschliessung von bislang landwirtschaftlich genutzten Flächen löste da und dort übermütige Visionen und Planungsspiele aus. Ehrgeizige Pläne zum Bau einer Hochhaus-Satellitenstadt für 150 000 Einwohner mussten 1967 aufgrund der Ölkrise und der damit verursachten Rezession zurückgestellt werden – aus heutiger Sicht eine glückliche Fügung. Wenig später nahm die Stadt einen neuen Anlauf: Das Gebiet westlich der Winterhale und der Fröschmatt bot sich gewissermassen als logische Stadterweiterung an. Auf einer Fläche von sechzig Hektaren – vergleichbar der Grösse der Berner Altstadt – sollten Wohnungen für rund 20 000 Menschen und 14 000 Arbeitsplätze geschaffen werden. Dazu wurde unter dem Titel «Approximatives Generalkonzept» (AGK) ein Ideenwettbewerb durchgeführt, der vom Architekturbüro Rudolf Rast gewonnen wurde. Das Vorhaben stiess indes in der Vernehmlassung auf so vehementen Widerspruch, dass das Projekt sang- und klanglos beerdigt wurde. 1976 erliess der Gemeinderat für das ins Auge gefasste Gebiet gar ein fünfzehnjähriges Bauverbot. In der Folge konzentrierte sich die Planung auf das Teilgebiet Brünnen. Ein weiterer Plan scheiterte in den Neunziger Jahren am Zusammenbruch einer Blase auf dem Immobilienmarkt. In einem Referendum von 1999 wurde dann ein stark reduzierter Entwicklungsplan für das heutige Brünnen-Quartier verabschiedet.

Landwirtschaftliche Bauten in Oberbottigen. Foto: Theo Iff

Eine Bevölkerung verändert sich
Die Errichtung neuer Siedlungen sowie die Neunutzung bisheriger landwirtschaftlicher Gebäude führen naturgemäss zu Veränderungen in der demographischen Entwicklung. Das dominierende Bild von Bauernkindern in der Schule und im kirchlichen Unterricht verliert sich zusehends. Das Angebot von Arbeitsplätzen in der nahegelegenen Kernstadt führt zu Pendlerströmen, die, wie bereits erwähnt, nicht von Eisenbahn und Autobahn profitieren können. Das gesellschaftliche Leben hat mit der Schliessung von drei Gasthöfen eine Einbusse erlitten. Die alteingesessene Bevölkerung fühlt sich bei der bewilligten Niederlassung von strukturfremden Institutionen wie Schiessplatz, Standplatz für Fahrende, Recycling-Unternehmen, Zone für experimentelles Wohnen – neu der geplanten BLS-Werkstätte – übergangen.

Der teils masslose Planungseifer in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts scheint sich im Nebel des Bottigenmoos aufgelöst zu haben. Am 17. Mai 2009 akzeptierten die Stimmberechtigten der Stadt den Zonenplan Oberbottigen. Die Gebiete Niederbottigen, Matzenried und der untere Teil von Riedbach werden als Weiler definiert; Neubauten sind nur als Nebenbauten gestattet. Buech, das Ziel, Stäge, Houzegge, Niederried, das Tröhl und die Riedegg bleiben in der Landwirtschaftszone. 

Es besteht grosse Hoffnung, dass sich die neuen Bevölkerungsschichten der Werte dieser weitgehend intakten Landschaft bewusst sind und diese Betrachtungsweise – ganz im Sinne der ursprünglichen Bevölkerung – den nächsten Generationen weitergibt.

Der Autor
Max Werren ist ehemaliger Inhaber einer Kommunikations-Agentur und einstiger ehrenamtlicher Co-Orts-archivar von Bümpliz. Er ist Verfasser zahlreicher Publikationen, darunter der «Bümplizer Geschichte(n)». Zudem ist Werren Präsident von «Kultur Schloss Bümpliz». 

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