Leila Kühni mit dem Filmplakat zu ihrem neuen Film. Foto: Peter Widmer

140 Stunden Filmmaterial für 1½ Stunden Filmgenuss

Viel Fingerspitzengefühl, Empathie, Organisationstalent, Geduld. Dies sind nur einige der Voraussetzungen, welche die Bümplizer Filmemacherin Leila Kühni für ihre Arbeit benötigt. Sie lässt uns an ihrem Arbeitsort im PROGR Bern «backstage» gucken.

Warum leben Sie in Bümpliz?
Mein Partner stammt aus Luzern und war bereit, nach Bern zu ziehen, aber mit der Bedingung, es müsse «etwas Spezielles» sein. 2011 sahen wir die Ausschreibung für die Miete des ehemaligen Königreichsaales der Zeugen Jehovas, wir erhielten den Zuschlag und seither wohnen wir in Bümpliz.

Beteiligen Sie sich am kulturellen, politischen oder religiösen Leben in Bümpliz?
Ja, wir organisieren bei uns sporadisch kulturelle Veranstaltungen wie Konzerte, Theater und Kinder-Disco. Im Juni gibts wieder unsere Hauskonzerte mit unserer Band «Taxi Florida» mit Balkanmusik, kombiniert mit Schweizer Songs und Texten. In diesem Quintett spiele ich Perkussion und Akkordeon.

Könnten Sie sich vorstellen, auch in einem anderen Berner Quartier zu leben?
Ja, ohne weiteres, zum Beispiel in familienfreundlichen Quartieren wie Breitenrain, Lorraine oder Länggasse. Aber wir fühlen uns wohl in Bümpliz. Unser Wohnort hat dörflichen Charakter, wir befinden uns inmitten neuer Siedlungen wie Burgunder- und Stöckackersiedlung.

Was freut, was ärgert Sie in Bümpliz?
Mich freut die gut durchmischte, mulitkulturelle Gemeinschaft. Ich wünschte mir aber noch ein eigenständigeres kulturelles und gastronomisches Angebot. Ärgerlich ist die Kreuzung bei der Tram- und Bushaltestelle Unterführung. Sie ist extrem gefährlich und man wartet ewig, um die Strasse queren zu können.

Seit 2007 realisieren Sie Dokumentarfilme. Wie kamen Sie zum Film?
An meiner letzten Arbeitsstelle war ich nicht mehr so glücklich und ich kündigte, ohne konkrete Pläne für die Zukunft zu haben. Danach hatte ich verschiedene Begegnungen aus der Kulturszene, beispielsweise auf einem Flug nach Berlin, als ich zufälligerweise neben Philipp Tschäppät sass, dem Bruder unseres ehemaligen Stadtpräsidenten Alex Tschäppät. Dieser erzählte mir während des ganzen Fluges über Bollywood. Seine Schilderungen haben mich damals fasziniert. Auch ein Zusammentreffen mit der Kunsthistorikerin Marianne Burki hat mich beeinflusst. Sie empfahl mir eine Filmschule in New York, die ich dann auch während einiger Monate besuchte. Das gab schliesslich den Ausschlag. Nach Lern- und Wanderjahren machte ich mich dann 2007 mit Einhornfilm selbstständig.

Wie lernt man Regie?
Es war bei mir ein Learning by doing. Beim Spielfilm ist die Rolle der Regie ziemlich klar definiert: Schauspielführung, Bildkontrolle usw. Bei meiner Art von Dokumentarfilmen ist meine Rollenfindung komplexer. Beim Film «Der Antiquar am Hirschengraben» führte ich beispielsweise auch die Kamera, da war ich mit dem Protagonisten allein. Bei meinem letzten Film «Hebammen – Auf die Welt kommen» war ich vor allem in der beobachtenden Funktion: Wer sind meine Hauptpersonen? An welchem Tag gehen wir wohin? Wo geschieht etwas Spannendes für den Film? Wie baue ich Vertrauen auf bei den Protagonistinnen, damit sie ein Filmteam in ihrer Arbeitswelt zulassen?

Ihre Darstellerinnen und Darsteller sind keine professionellen Schauspieler. Wo liegt hier die Schwierigkeit in der Regiearbeit?
Es ist oft nicht einfach, Leute zu finden, die bereit sind mitzumachen. Dann kommt dazu, dass die Menschen durch die Präsenz einer Kamera unterschiedlich beeinflusst sind. Einige bewegen sich ganz natürlich und entspannt, andere wiederum fühlen sich sichtlich unwohl. Dann gibt es solche, die bewusst zu spielen beginnen und Inhalte platzieren, die sie im Film bewusst sehen möchten. Aber ich komme nicht darum herum, den Protagonisten gezielte Handlungsanweisungen zu geben. Einige Szenen müssen wiederholt werden, bis sie «im Kasten» sind, soweit dies überhaupt möglich ist. Es gibt Situationen, wo man nicht eingreifen und stören darf.

Es ist also das Ziel Ihrer Dokumentarfilme, das Leben der Darstellerinnen und Darsteller möglichst realitätsnah abzubilden?
Möglichst authentisch. Letztlich ist schon nur die Präsenz des Filmteams und der Kamera ein Eingriff in die Realität. Auch eine inszenierte Szene kann authentisch sein.

Welches war Ihr schwierigstes Filmprojekt?
Ganz klar der Film «Hebammen – Auf die Welt kommen». Die grösste Herausforderung war, Frauen zu finden, die bereit waren, dass wir sie schon während der Schwangerschaft begleiten durften. Das stellte ich mir viel einfacher vor. Es stiegen auch Frauen wieder aus während der Dreharbeiten. Alles zog sich in die Länge. Wenn man schwangere Frauen begleitet, ist man monatlich bloss einmal eine Stunde mit der Schwangeren und der Hebamme zusammen. Im Spital wars kürzer und wir konnten dann mehrere Tage am Stück drehen. Am Schluss mussten wir aus 140 Stunden Material einen funktionierenden Film für 1½ Stunden produzieren! Das entpuppte sich als weitere Schwierigkeit und zog sich über einen Zeitraum von zwei Jahren hin.

Der Film hatte seine Weltpremiere an den Solothurner Filmtagen im Januar 2022. Wie war die Resonanz?
Es war die erste Gelegenheit für mich, den Film zusammen mit Publikum zu schauen. Fast alle Protagonistinnen waren anwesend. Es gab sogar Szenenapplaus! Auch bei der zweiten Vorstellung mit mir unbekanntem Publikum herrschte eine wohlwollende, gute Stimmung. Ich bin glücklich, dass der Film in so vielen Schweizer Städten gezeigt wird.

Welches war der erste Film, den Sie sich im Kino angesehen haben?
(Überlegt lange) Es müsste der James Bond-Film «Never Say Never Again» mit Sean Connery Mitte der 80er-Jahre gewesen sein. Es war der erste Kinobesuch ohne meine Eltern. Wir waren nervös wegen unseres Alters, ich war damals 14-, 15-jährig.    

Zur Person
Leila Kühni wurde 1970 geboren und wuchs in Biel auf. An der Universität Bern studierte sie Kunstgeschichte und Wirtschaft. Danach arbeitete sie u.a. an der Expo 02, wo sie für das Ticketing verantwortlich war, und in einem Unternehmen für Museumssoftware. Seit 2007 realisiert sie freie Dokumentar- und Auftragsfilme zu sozialen und kulturellen Themen. Leila Kühni wohnt mit ihrem Partner und ihrer Tochter in Bümpliz.

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