Seit dem 1. April leitet die Sozialpädagogin Regina Stucki das Mütterzentrum Bern-West. Wichtig sind ihr die nach wie vor niederschwelligen Angebote und die offenen Türen – ohne Formalitäten.
Sie leiten das Mütterzentrum Bern-West seit dem 1. April dieses Jahres. Wie kam es dazu?
Die Stelle war ausgeschrieben und ich habe mich beworben – ganz normal! Was mich sofort beeindruckte: Es herrscht hier eine gelebte Willkommenskultur. Eine Hilfe suchende Frau muss nicht zuerst Formulare ausfüllen, wenn sie zu uns kommen will. Es ist ein Gewinn für das Quartier. Das MüZe ist eine Institution, die besticht!
Wie sieht Ihr Alltag aus?
Routine gibt es nach so kurzer Zeit keine! Im Bereich Frauenförderung leite ich zwei Angebote: das sogenannte Sprachsofa, immer montags. Dort geht es in erster Linie um Kommunikation. Wir besprechen in Schriftsprache oder Mundart Themen, die für diese Zielgruppe alltagsrelevant sind. Weiter leite ich die Treffen für alleinerziehende Frauen. Hier handelt es sich um ein Abendangebot, wo Erziehungs- und Beziehungsfragen erörtert werden. Dabei essen wir zusammen z’Nacht. Mit von der Partie ist unsere pädagogische Fachperson, denn die Frauen nehmen ihre Kinder mit. So können die Mütter wieder einmal in Ruhe mit Erwachsenen essen, für die Kids wird gesorgt. Eine Frau sagte mir letztes Mal, das sei für sie wie Ausgang. Als Betriebsleiterin kommt die operative Führung der Institution und deren Mitarbeiterinnen dazu, ich bin Kontaktperson zum Vereinsvorstand, bereite Entscheidgrundlagen vor. Für die Stadt und den Kanton Bern, in deren Auftrag wir mit zwei Leistungsverträgen unterstützt werden, bin ich Ansprechperson des MüZe.
Kinderhütedienst gehört nicht dazu?
Wenn meine Betreuerinnen aus irgendeinem Grund mal alle ausfallen, dann wäre das mein Job!
Die meisten Mütter und Kinder haben einen Migrationshintergrund und stammen aus verschiedensten Kulturen. Wo sehen Sie hier die Bereicherung, wo die Schwierigkeiten?
Ja, der Migrationsanteil in diesem Quartier ist sehr hoch. Die tatsächliche Niederschwelligkeit ist offensichtlich: gut erreichbar, möglichst keine administrativen Hürden, kostengünstig, attraktive Öffnungszeiten, besucherinnenspezifisches Angebot und unkomplizierter Zugang zu Fachpersonen. Die Frauen stammen oft aus geschlechtergetrennten Gesellschaften, das heisst Männer und Frauen leben ein anderes Leben. Das MüZe ist ein Ort für Frauen, wo sie eigene Beziehungen knüpfen können, die nicht über ihre Verwandtschaft laufen, wo sie einen kleinen Job bekommen und ihr Selbstwertgefühl stärken können. Ich sehe es als Bereicherung, dass die Mütter zusammen mit ihren Kindern zu uns kommen können, sie müssen diese nicht anderswo zur Betreuung bringen. Der Fokus unserer Angebote liegt auf der privaten und beruflichen Entwicklung der Frauen und den Kindern im Vorschulalter bis sechs Jahre. Zurzeit beschäftigen wir drei Frauen, die die Ausbildung zur Fachfrau Kinderbetreuung EFZ absolvieren. Als Herausforderung entpuppt sich klar die Sprache. Weiter sind familiäre Probleme und Traumatisierungen ein grosses Thema.
Regina Stucki (Mitte) und ihr Team.
Hatten Sie im Mütterzentrum schon Begegnungen mit Flüchtenden aus der Ukraine?
Nein, bisher sind sie nicht bei uns angekommen, aber ich bin sicher, dass wir bald mit ihnen Kontakt haben werden. Es sind ja mehrheitlich Frauen mit ihren Kindern, die Zuflucht suchen.
Wie lautet Ihre Zwischenbilanz nach knapp 1½ Monaten?
Ich winde meiner Vorgängerin Sonja Pihan ein Kränzchen. Sie hat in den zehn Jahren ihrer Tätigkeit viel für das MüZe geleistet. Sie hat das Zentrum zu dem gemacht, was es heute ist: Ein Ort, wo die Frauen willkommen sind und sich wohl fühlen. So werde ich möglichst viel beibehalten, nach meiner ersten Beurteilung wurde alles richtig gemacht! Wenn ich einmal etwas ändern werde, dann sicher nicht im Alleingang, sondern im Team und zusammen mit dem Vorstand.
Wieviele Mitarbeiterinnen beschäftigen Sie zurzeit?
Im Leitungsteam sind wir insgesamt vier Frauen, dann sind weitere drei Mitarbeiterinnen in Ausbildung sowie rund 15 Frauen, die im Stundenlohn den Kinderhütedienst übernehmen. Dazu kommen mehrere Freiwillige, die ehrenamtlich arbeiten.
Was entpuppt sich bei Ihrer Arbeit als grösste Herausforderung?
Die grösste Herausforderung ist sicher, die Niederschwelligkeit aufrechtzuerhalten. Das war immer der Schlüssel des Erfolgs des Mütterzentrums in den 30 Jahren seines Bestehens. Diesen barrierefreien Zugang zu unseren Angeboten wollen wir unbedingt beibehalten.
Wie beurteilen Sie die Anteilnahme der Bevölkerung im Stadtteil VI?
Wir sind hier gut in weitere Angebote des Tscharnerguts und im urbanen Raum Bern West eingebettet.
Das Mütterzentrum gibt es seit über 30 Jahren. Was hat sich in diesen Jahren geändert?
Der Anteil des Migrationshintergrundes ist anders geworden. Waren es früher vor allem Menschen aus Italien und Ex-Jugoslawien, stammen die Leute heute aus vielen anderen Kulturen wie Eritrea, Somalia, Afghanistan, Syrien. Das stellt uns vor Herausforderungen bezüglich des Angebots. Schon vor 30 Jahren wollte man mit dem MüZe ein öffentliches Wohnzimmer schaffen. Die meisten damals gegründeten Mütterzentren wurden später zu Familienzentren umgestaltet. Das MüZe Bern West ist eines der wenigen, das seinen Ursprung beibehalten hat, um die spezifischen Bedürfnisse und Fragestellungen der Mütter befriedigen zu können. Durch unsere zweigleisigen Angebote sowohl für Mütter als auch für ihre Kinder wird niemand abgehängt, sondern sie finden gemeinsam ihren Weg.
Zur Person
Regina Stucki, geboren 1967, ist in Toffen aufgewachsen. Die ausgebildete Sozialpädagogin leitete während mehrerer Jahre in Biel den Sozialdienst der Heroin- und Methadonabgabe und war die letzten zwölf Jahre als GL-Mitglied einer Nonprofit-Organisation im Bereich Arbeitsintegration tätig. Seit dem 1. April 2022 ist sie Betriebsleiterin des Mütterzentrums Bern West. Regina Stucki wohnt mit ihrem Partner und den zwei gemeinsamen Kindern in Brüttelen.