Einen Überschuss von 114 Mio. Franken und einen Schuldenabbau von 50 Mio. Franken weist der Kanton Bern für das Jahr 2023 aus. Die folgenden Jahre sollen sogar noch erfreulicher werden. Ganz anders sieht es in den Gemeinden aus. Die Ausgaben, welche diese dem Kanton und dem Bund entrichten, fressen rund 70% aller Einnnahmen. Wann gedenkt der Kanton Bern, hier die Zügel etwas zu lockern?
Dunkel werden die Zeiten im Mittelalter beschrieben, die Armut sorgt in der Bevölkerung für leere Teller, während die Kirche immer prunkhaftere Bauten hochzieht. In extremis in Rom: Während in der Pauluskirche 80 Tonnen Gold verbaut werden, verhungern auf der anderen Seite des Tibers die Menschen. Von Nächstenliebe und christlichen Werten keine Spur. Diesen Vergleich mit dem Kanton Bern zu wagen ist natürlich masslos übertrieben. Aber die Art wie sich die Finanzen des Kantons und jene der meisten Gemeinden entwickeln, könnten gegenläufiger nicht sein. Die positive Finanzentwicklung des Kantons könnte negativ aufgenommen werden bei den Gemeinden. Die einen prosperieren, die anderen leiden.
Steuersenkung
Wird der Kanton Bern hier reagieren? «Direkte Massnahmen zur Entlastung haben wir keine vorgesehen», sagt Regierungsrätin Astrid Bärtschi (die Mitte). An der Medienkonferenz Ende August gab der Kanton Bern aber bekannt, dass er ab 2024 die Steuersätze sowohl für natürliche als auch für juristische Personen senken will. 0,5 Steuerzehntel bei den natürlichen Personen und 2 Steuerzehntel bei den Unternehmungen. Der Hauptstadt-Kanton liegt im schweizweiten Vergleich im hintersten Drittel bei den natürlichen Personen und belegt gar den letzten Platz bei den Unternehmenssteuern. Er reagiert und korrigiert nun. «Es besteht Handlungsbedarf», sagt die neue Regierungsrätin entsprechend und stellt gar in einem zweiten Schritt weitere Senkungen in Aussicht.
Indirekte Entlastung
Nun hilft das all jenen Gemeinden, die an einem strukturellen Defizit leiden, vorerst wenig. Indirekt profitieren sie höchstens ein wenig von einer höheren Kaufkraft und den damit verbundenen besseren Ergebnissen der Firmen. Die grosse Entlastung für die Gemeinden dürfte damit aber ausbleiben. Sie müssen weiterhin auf kleine Wunder hoffen. Der millionenschwere Lottogewinn, der Hinzug einer gewichtigen Firma, die reiche Person, die sich aufgrund der Umgebung trotz Steuerbelastung niederlässt. Wunder passieren bekanntlich selten und so zieht eine andere Strategie des Kantons die Schlinge immer enger um kleinere Gemeinden: die Fusionen. Es ist durchaus gewollt, dass mit steigenden Kosten und adminsitrativen Aufgaben vor allem kleinere Gemeinden prüfen sollen, ob eine Fusion nicht Sinn machen würde. Es entstünden vermehrt kleinere Zentren. Man denke beispielsweise an Schwarzenburg oder Riggisberg.
Risiken inklusive
Der Kanton Bern legt zudem dar, dass die erfreulichen Zahlen «mit einem grossen Aber versehen sind», wie es Beat Zimmermann, der Leiter der Finanzplanung, formulierte. Die Schweizerische Nationalbank hat mit 95 Mrd. Franken im ersten Halbjahr 2022 den grössten Verlust ihrer Geschichte erfahren. Es ist deshalb fraglich, wie viel und ob überhaupt eine Gewinnausschüttung an die Kantone erfolgen wird. Dennoch rechnet der Kanton hier zuversichtlich mit 480 Mio. Franken an Einnahmen. Über eine Mrd. Franken soll zusätzlich der kantonale Lastenausgleich beisteuern. Zudem wirkt sich der Ukrainekrieg auch auf das Berner Budget aus. Mehr Ausgaben im Asylbereich und in der Bildung, insgesamt 55 Mio. Franken lautet die vorsichtige Annahme. Mehrausgaben wird es schliesslich auch in der Verwaltung geben. 2% mehr Lohn als Teuerungsausgleich. Die Investitionen auf der Ausgabenseite werden mit Grossprojekten wie beispielsweise dem Polizeizentrum in Niederwangen bis 2025 mit 800 Mio. Franken ihren Höhepunkt erreichen und anschliessend wieder sinken. Wie gut steht die SNB Ende des Jahres da? Wie viele Geflüchtete aus der Ukraine kommen wirklich? Stimmen die Investitionen oder werden die geplanten Grossprojekte im Hochbau noch teurer? Das sind die Wolken, die am Berner Himmel aufziehen, möglicherweise weiterziehen oder aber zu einem Gewitter werden können. «Dann müssten wir mit einer restriktiven Sparpolitik reagieren», äussert sich Bärtschi im Sinne eines «Worstcase-Szenarios».
Aussichten sind bewölkt
Vorerst aber herrscht eitler Sonnenschein. Die Finanzplanung prognostiziert steigende Gewinne bis ins Jahr 2026. Im Jahr 2024 bereits 452 Mio. Franken und im Jahr 2025 gar 529 Mio. Franken. Das sind höchst erfreuliche Zahlen, welche die Regierungsrätin präsentieren durfte. Schuldenabbau inklusive, was in unsicheren Zinszeiten an Bedeutung gewinnt. Dennoch ist der Himmel nicht nur blau. Die Risikowolken sind das eine, die ächzende Last, unter der die Gemeinden leiden, das andere. Diese werden auf die Grossrätinnen und Grossräte hoffen müssen, welche mit einzelnen Vorstössen möglicherweise da und dort eine Entlastung erkämpfen können. Ob viel Verständnis für den Kanton übrigbleibt, weil die Erfolgszahlen des Kantons risikobehaftet sind, ist fraglich. Es reicht aber das Milchbüchlein, um zu errechnen, dass viele Gemeinden nicht mehr lange durchhalten, wenn kantonale und nationale Belastungen nicht mittelfristig wieder abnehmen. Ob dann die Fusion als einzige Lösung für viel Sympathie sorgen wird, darf zumindest hinterfragt werden.
Der erste grosse Auftritt vor den Medien war für Astrid Bärtschi in diesem Spannungsverhältnis ein gelungener. Nicht nur wegen der Zahlen, sondern auch der Art und Weise, wie sie die einzelnen Punkte reflektiert und im Kontext einordnen konnte. Für die Gemeinden war dieser Auftritt hingegen weniger erfreulich. Entlastung ist keine in Sicht und mehrere Anliegen an den Kanton im Verteilgebiet dieser Zeitung werden nicht oder nicht mehr berücksichtigt. Gerade in den Randgebieten. Die Steuern sinken, doch die Gemeinden hinken.
Sacha Jacqueroud