Otto Wenger hat seine Bewerbung 1986 für den Tscharni-Job noch auf der Schreibmaschine geschrieben. Bei der akribischen Durchsicht des Dokuments entdeckte er einen Kommafehler. Also schrieb er das Ganze noch einmal ab und vergass dann, zu unterschreiben. «Wegen der fehlenden Unterschrift hätten wir ihn damals beinahe nicht genommen», erzählte Jolanda Weber, die Vertreterin der VBG, Vereinigung Berner Gemeinwesenarbeit, noch Jahre danach. Nach 37 Jahren geht Wenger nun in Pension. Höchste Zeit für einen Rückblick auf seine bewegten Jahre im Tscharnergut.
Was hat dich seinerzeit bewogen, dich für die Leitung des Tscharnis zu bewerben?
Ich bin im Tscharni aufgewachsen und kenne das Quartier und seine Umgebung gut. Ein guter Pfadifreund wusste von der freien Stelle und hat mir den Tipp gegeben.
Wer lebt eigentlich im Tscharni?
Heute viele ältere Menschen, aber auch vermehrt Familien mit Kindern und Menschen mit Migrationshintergrund. Sie kommen aus etwa 17 Nationen.
Was hat sich im Tscharni verändert?
Die Häuser wurden teilweise oder ganz renoviert, grössere Wohnungen, vielfältigerer Wohnungsmix, nicht bloss 3½-Zimmer Wohnungen. Der Spielplatz an der Waldmannstrasse wurde neu gestaltet in enger Zusammenarbeit mit der Bevölkerung, vor allem auch mit Einbezug von Kindern und Jugendlichen. Es gibt ein starkes Freizeitangebot, und laufend Stellenangebote für erwerbslose Menschen in unserem Haus und das Vorlehren-Angebot in unserer Werkstatt.
Was loben die Bewohnenden?
Die gute Nachbarschaft und die gute Infrastruktur im und ums Quartier. Die innovative und schöne Idee den traditionellen Weihnachtsbaum durch ein «Tscharni-Wäldchen» zu ersetzen.
Was ärgert die Bewohnenden?
Dass der Glockenturm zu leise klingt und die Melodien im Bethlehemacker und ganz hinten im Tscharni nicht mehr zu hören sind. Ausserdem der schlechte Ruf, den das Tscharni immer noch bei vielen Aussenstehenden hat. Dass dieses Jahr keine traditionelle, beleuchtete und grosse Tanne auf dem Dorfplatz stand.
Worauf bist du stolz?
Auf das Projekt am Tag der Nachbarschaft 2019 mit dem langen Tisch im Tscharni, entlang des Mittelwegs, fast 500 Meter lang. Auf alle Aktionen und Projekte 2009 zum 50-jährigen Bestehen des Quartiers. Dass ich viele der Werte und Ideen von meinem Vorgänger, Hansjörg Uehlinger übernehmen und weiter ausbauen konnte.

Gab es besondere Begegnungen im Tscharni? Wer war schon da?
Der schwedische Aussenminister, der Bürgermeister von Moskau, Radio und Fernsehen SRF (Heidi Abel und Werner Vetterli mit der Sendung «heute Abend in»), viele Stadtpräsidenten und Politikerinnen, Architekten (Daniel Liebeskind) und immer wieder Führungen für ähnlich gelagerte Institutionen, Städteplaner, Architekturstudentinnen, angehende Sozial-
arbeiter und andere Interessierte.
Was ging schief?
Das Projekt «Teppichstangenmuseum». Das hätte eigentlich eine kontinuierliche Kunst-Installation werden sollen, spontane Werke eingerahmt von Teppichstangen.
Was macht die VBG für ein lebendiges Tscharni?
Die Vereinigung Berner Gemeinwesenarbeit unterstützt uns anhand eines Leistungsvertrags mit der Stadt Bern, finanziert etwa die Hälfte unseres Budgets, koordiniert gemeinsame Quartier- Projekte und hilft auch bei der Umsetzung.
Ausblick: Was steht an? Was muss noch erreicht werden?
Die teilweise in die Jahre gekommenen Häuser müssen demnächst renoviert werden, darunter auch das Dach unseres Zentrums. «Es rünnt!»
Vision: Wie könnte das Tscharni 2030 aussehen?
Von der Waldmannstrasse bis zum Dorfplatz ein grosses Gemeinschaftszentrum mit Bibliothek, Ludothek, Jugendtreff, Restaurant – alles aus einem Guss und unter einem Dach.
Einfach erklärt
Otto Wenger war lange der Zentrumsleiter des Tscharnerguts. Er geht nach 37 Jahren in Pension. Er wuchs selbst dort auf und kennt die Umgebung gut. Nun blickt er in einem Interview zurück.