89. Minute, es steht 1:1. Gebannte Blicke auf die Anzeigetafel, Fingernägelkauen, bange letzte Minuten. So spannend zeigen sich auch die ersten Hochrechnungen für die bevorstehenden National- und Ständeratswahlen. Zumindest national. Regional dürfte es zu Abweichungen
kommen.
40’000 Franken. Da sei – so einige Kandidierende der Region – in etwa die Summe, die man aufwenden müsse, um für nationale Wahlen auf sich aufmerksam machen zu können. Viel Geld für wenig Chancen, wenn man das Prozedere anschaut: Wiedergewählt zu werden ist um ein Vielfaches einfacher, als neu ins Parlament zu kommen.
Keine klaren Verhältnisse
Die ersten Umfragen von «Sotomo» und dem Bundesamt für Statistik zeigen keine eindeutigen Gewinnerparteien. Die SVP und die SP sollen um je 1 % zulegen, die FDP und die GLP um 0,5 %, die Mitte und die EVP bleiben stabil, dafür sollen die Grünen mit minus 2,5 % deutlich an Terrrain verlieren. Doch inzwischen hat das Credit-Suisse-Debakel die Karten neu gemischt. Die Hochrechnungen fanden kurz vor dem Bankeneklat statt. Nun scheiden sich die Geister darüber, ob dieses Ereignis so lange andauert wie die Dauerthemen Klima, Mi-gration oder Krankenkassen. Oder einfach gesagt: ob es die ersten Hochrechnungen ändert?
Parteispitzen
Welche Lehren man zieht nach dem Fall der CS und der Übernahme durch die UBS oder zu der neuen Riesenbank, darüber kann nur spekuliert werden. Im Rampenlicht stehen die Parteipräsidentinnen und -präsidenten. Sie positionieren sich, fordern höheres Eigenkapital, ein Bankentrennsystem oder wollen ganz einfach erst mal in Ruhe analysieren. Für die wirtschaftsfreundliche FDP und deren Aufwärtstendenz ein Härtetest, weil keine klaren Zugeständnisse für Änderungen kommen, für die Grünen eine Chance aufzuholen, weil sie die immensen Summen, die staatlich garantiert werden müssen, den vergleichsweise kleineren gegenüberstellt, welche der Umweltschutz benötigen würde. Gut möglich, dass die Parteispitzen Sympathien aufbauen oder mindern können, je nach Auftritt im Zusammenhang mit dem CS-Debakel. Sie stehen in solchen Krisensituationen stellvertretend für die ganze Partei.
Regionale Unterschiede
Doch gewählt werden letztendlich nicht Parteien, sondern Menschen, welche das Volk im Parlament vertreten können. Deshalb ergeben sich Unterschiede zwischen Stadt und Land, Romandie, italienischer Schweiz und Deutschschweiz. Und wie sieht es im Stadtteil VI und Umgebung aus? So heterogen wie die Bevölkerung, so die Kandidierenden. Zur Wiederwahl steht Erich Hess (SVP). Seine Wahl gilt als wahrscheinlich. Die andere starke Partei im Gebiet ist die SP. Profitiert jemand aus dem Stadtteil VI, weil der Ständeratssitz von Hans Stöckli frei wird und möglicherweise Flavia Wasserfallen diesen erben könnte? Es würde ein Sitz frei und die SP könnte bei sehr gutem Wahlergebnis einen weiteren Sitz holen. Antreten werden die Grossrätin Meret Schindler und der Stadtrat und ehemalige SP-Bümpliz-Präsident Chandru Somasundaram. Die SP schickt also gleich zwei junge, aber gleichwohl erfahrene Menschen aus Bümpliz ins Rennen. Für die GLP wird es schwer, einen vierten Sitz im Kontingent des Kantons Bern zu erobern. Vor vier Jahren war der dritte Sitz schon aufgerundet zu Stande gekommen. Gesetztenfall die Grünliberalen könnten kräftig zulegen, wäre ein junger Politiker aus Frauenkappelen sozusagen in der Pole Position: Tobias Vögeli. Der Gemeinderat und Grossrat gilt in der GLP als Favorit auf einen möglichen vierten Sitz. Etwas kleiner ist die EVP, doch dafür trägt die Kandidierende aus dem Wangental einen bekannten Namen: Katja Streiff. Die Tochter der Altnationalrätin Marianne Streiff war bereits Parlamentspräsidentin in Köniz und ist ebenfalls im Grossen Rat. Die Grünen schicken im Verteilgebiet dieser Zeitung den Grossrat Thomas Gerber ins Rennen. Einer, der Klimapolitik versteht und unlängst mit den Pestiziden im Wald ein grosses Thema ausgepackt hat. Natürlich werden noch weitere Kandidierende aus dem Gebiet gelistet. Doch diese sind auf die Stimmen ihrer Umgebung angewiesen. Der nationale Barometer besitzt noch wenig Aussagekraft, der regionale Thermometer weitaus mehr: Der Stadtteil VI und Umgebung stellt namhafte und starke Kandidierende – von rechts bis links. Ein regionaler politischer Fächer mit Menschen von nationalem Format. Und darauf darf die Region stolz sein.
Einfach erklärt
Am 22. Oktober 2023 wählt das Schweizer Volk National- und Ständerat; kurz: sein Parlament. Aus dem Stadtteil VI und Umgebung treten talentierte und erfahrene Menschen an; von rechts bis links.
Sacha Jacqueroud